Jiu-Jitsu in Deutschland
Nach dem russisch-japanischen Krieg kamen 1903 zwei japanische Kreuzer zu einem Freundschaftsbesuch nach Kiel. Bei dieser Gelegenheit wurden asiatische Nahkampftechniken vorgeführt. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. gab Anweisungen, für diese Techniken, die „Jiu-Jitsu“ genannt wurden, einen Lehrer zu engagieren. Ono, Higashi, Tani, Uynichi und Mayaki kamen nach Deutschland und lehrten Jiu-Jitsu. Erich Rahn, bedeutendster Schüler dieser Japaner, gründete 1906 die erste deutsche Jiu-Jitsu Schule in Berlin, die noch heute existiert. Ab 1910 unterrichtete Rahn bei der Berliner Kriminalpolizei, kurze Zeit später auch an der Berliner Militär-Turnanstalt. Während des 1. Weltkriegs ruhte Jiu-Jitsu vollkommen und wurde erst 1919 wieder aufgenommen. 1922 erhielt Erich Rahn an der Deutschen Hochschule für Leibeserziehung einen Lehrauftrag als Dozent für Jiu-Jitsu, die Anerkennung des Jiu-Jitsu in Deutschland machte Fortschritte. In Frankfurt a. M. und Wiesbaden eröffnete Alfred Rhode Jiu-Jitsu-Schulen. 1924 wurde der Jiu-Jitsu-Reichsverband gegründet. 1925 erschien die erste illustrierte Monatszeitschrift Jiu-Jitsu. 1930 wurde Jiu-Jitsu bereits in drei Verbänden gelehrt (Reichsverband für Jiu-Jitsu, Deutscher Athletik Sportverband, Arbeiter Sportkartell) und an den Universitäten Köln und Hamburg in das Programm der Leibesübungen aufgenommen.
Erich Rahn demonstriert einen Armstreckhebel
1933 besuchte Prof. Jigoro Kano, der aus dem Jiu-Jitsu heraus (unter unter anderem durch Verbot aller „harten“ Stoß-, Schlag- und Tritt-Techniken) das Judo entwickelt hatte, mit einigen Begleitern Deutschland und stellte Judo als Leibeserziehungs- und vor allem Wettkampfsystem vor. Nach einem Gespräch zwischen Kano und dem damaligen Reichssportführer v. Tschammer wurde Judo amtlich in ganz Deutschland eingeführt. Kriegsbedingt stagnierte dann allerdings der gesamte Kampfsport und wurde auch nach dem Ende des 2. Weltkriegs durch die Alliierten zunächst verboten. Erst 1956 belebte sich das Kampfsportwesen in Deutschland wieder mit der Gründung des Deutschen Judobundes (DJB). Judo wurde als Leistungssport im DJB alsbald auch durch die öffentliche Hand intensiv gefördert. Eine enorme Abwanderung vom Jiu-Jitsu war die Folge. Jiu-Jitsu-Sportler schlossen sich vielfach Judo-Vereinen an, die ihren Wünschen nachkamen, dort Jiu-Jitsu zu trainieren, und bildeten so innerhalb des DJB eine Minderheit.
Trotz dieser Entwicklung erhielt sich jedoch auch im Jiu-Jitsu noch ein Verbandswesen. Mitte der sechziger Jahre gehörten zu den drei bekanntesten Jiu-Jitsu-Verbänden der Deutsche Jiu-Jitsu-Ring (DJJR), der Deutsche Verband für waffenlose Selbstverteidigung und der Deutsche Jiu-Jitsu Bund (DJJB), die einen stetigen Zulauf verzeichnen konnten. Diese Entwicklung im Jiu-Jitsu musste der DJB zwangsläufig mit Sorge betrachten. Es gab zwar innerhalb des DJB nach wie vor einen Bereich Jiu-Jitsu, doch war hier die Abwanderung in die jiu-jitsu-spezifischen Verbände besonders deutlich. So führte der DJB nach 5-jähriger Vorbereitungszeit eine Sparte für Selbstverteidigung unter dem Begriff „Ju-Jutsu“ ein. Tatsächlich wurden hier die für ein Selbstverteidigungssystem als wichtig erachteten Techniken aus verschiedenen Kampfsportarten herausgezogen und kombiniert, also ein vielseitiges technisches Repertoire, das prinzipiell im Jiu-Jitsu schon lange zuvor bereits existierte! Da der DJB in der Folge seine Zustimmung für eine auf Bundes- und Landesebene anerkannte, vollwertige und eigenständige Sektion Jiu-Jitsu versagte, gründeten Mitglieder der „Arbeitsgruppe Jiu-Jitsu im DJB“ aus Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein 1982 in Malente die „Deutsche Jiu-Jitsu-Union – Größter deutscher Fachverband für traditionelles Jiu-Jitsu e. V.“. 1990 spalteten sich dann auch die Ju-Jutsu-Treibenden vom DJB ab und gründeten einen eigenen Verband, den Deutschen Ju-Jutsu-Verband (DJJV); eine im Jahre 2004er mittels einer Satzungserweiterung eröffnete Sektion Jiu-Jitsu innerhalb des Ju-Jutsu-Verbandes findet bis heute allerdings keinen nennenswerten Zulauf.
Jiu-Jitsu in Deutschland wird heute im Wesentlichen von drei Verbänden getragen: Durch den nach wie vor mitgliederstärksten Verband Deutsche Jiu-Jitsu-Union (DJJU) mit inzwischen bundesweit 14 Landesverbänden sowie die beiden traditionsreichen Verbände Deutscher Jiu-Jitsu-Bund (DJJB) und Deutscher Jiu-Jitsu-Ring (DJJR). Diese Verbände pflegen verschiedentlich fruchtbaren Austausch miteinander; so gibt es unter anderem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz enge Kooperationsabkommen zwischen den Landesverbänden der DJJU und des DJJB, die insbesondere in den Bereichen des Lehrgangswesen und der Übungsleiterausbildung allen Jiu-Jitsuka zugute kommen.